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Titel
Mit Gott rechnen. Katholische Reform und politisches Kalkül in Frankreich, Bayern und Polen-Litauen


Autor(en)
Tricoire, Damien
Erschienen
Göttingen 2013: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
462 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Andreas Behr, Lehrstuhl für Geschichte der Neuzeit, Universität Freiburg (CH)

«Dieses Buch schreibt eine Religionsgeschichteder Politik. Es behandelt die politischen Konsequenzen der KatholischenReform in Polen-Litauen, Frankreich und Bayern von circa 1600 bis zur zweitenHälfte des 17. Jahrhunderts.» – Mit diesen deutlichen Worten leitet Damien Tricoiresein Werk ein; mit sorgfältig ausgewählten Begriffen erläutert der Autor die Intention seiner Studie und steckt das Forschungsfeld ab. Das Vorhaben Tricoires ist ambitioniert: Im Allgemeinen will er für den Untersuchungszeitraum sowohl eine ergänzende Sicht auf die Ereignisgeschichte der drei erforschten Länder liefern, als auch «generalisierende Aussagen über die Veränderungen des Katholizismus um 1600» machen. Im Besonderen soll die Untersuchung einen Beitrag leisten «zu einem besseren Verständnis des Zusammenspiels zwischen Religion und Politik». Dieser hohe Anspruch wird dadurch unterstrichen, dass sich Tricoire explizit von derbisherigen Forschung abgrenzt, die «die Rolle religiöser Vorstellungen» in den politischen Prozessen des frühen 17. Jahrhunderts «meist entweder vernachlässigtoder einseitig betrachtet» haben soll (alles 9). Eine Aussage, die provoziert und damit zum Weiterlesen anregt.

Der Reiz der Studie liegt also bei eben diesem Anspruch, Einflüsse religiöser Vorstellungen auf die Politik – in dreifacher Hinsicht, d.h. betreffend Inhalte (policy), Entscheidungsfindungsprozesse (politics) und Institutionen (polity) – zu untersuchen. In Anlehnung an die bestehende Forschungsliteratur betont der Autor, dass für das frühe 17. Jahrhundert die religiöse bekanntlich nicht von der politischen Sphäre zu trennen, das konkrete Zusammenspiel beider Bereiche bis dahin aber kaum untersucht worden sei. Als Ausdruck dieses Zusammenspiels und damit als Ausdruck der Katholischen Reform wird konkret das staatliche Marienpatronat ins Zentrum der Untersuchung gerückt, d.h. die Konstruktion politischer Legitimität durch den Glauben des Machtträgers an die Herrschaft der heiligen Maria über das eigene Staatswesen. Entscheidend dabei ist, dass gemäss Tricoire die Machtträger Frankreichs, Bayerns und Polen-Litauens tatsächlich daran glaubten und deshalb bei allen politischen Entscheidungen religiöse Handelsmotive mitberücksichtigten respektive dass sie, wie es der Titel suggeriert, in ihren politischen Entscheidungen mit Gott rechneten. Normproduktion auf der Grundlage religiöser Motivierung soll also nicht als «Verschleierung tatsächlicher Intention » verstanden, sondern «ernst genommen werden» (127). Der Marienkult hatte demnach nicht nur eine religiöse, sondern auch eine politische Dimension: Die Königtümer wurden unter das Patronat der heiligen Maria gestellt und damit als sakral verstanden. Tricoire nennt es das «religiöspolitische Kalkül» der Monarchen. Es war dies ein Herrschaftsmodell, das, so Tricoire, im Wesentlichen auf der pietas (im Sinn einer königlichen, staatspolitischen Frömmigkeit) und der iustitia (im Sinne von richterlicher Strenge) beruhte (insb. 117–132). Welche unterschiedlichen Konsequenzen das Marienpatronat auf die Staatsentwicklungen in den drei untersuchten Ländern hatte, wird im Verlauf der Studie diskutiert.

Die Studie ist in fünf Teile gegliedert; in den ersten beiden Teilen werden die Grundlagen zum Verständnis von Tricoires Thesen gelegt: In Kapitel I legt der Autor überzeugend dar, was er unter der Katholischen Reform versteht: Resultat dieser nachtridentinischen Epoche war ein «reformierter Katholizismus», der die Unterscheidung zwischen Weltlichem und Geistlichem zwar durchgesetzt, die beiden Bereiche aber zu einem harmonischen Ganzen geformt hatte, um «die Einheit des Universums zu behaupten» (116). Die (mittelalterlichen) eschatologischen Ängste konnten überwunden werden und auf der Grundlage einer Liebesbotschaft wurde ein Universalismus-Anspruch gehegt, wobei die heilige Maria zugleich als «Himmelskönigin » und als «Staatspatronin» dieser «Liebeshierarchie» vorstand. Daran anknüpfend wird in Kapitel II die Etablierung dieses reformierten Katholizismus auf staatlicher Ebene am Beginn des 17. Jahrhunderts beschrieben, freilich mit Blick auf die drei untersuchten Länder. Dabei werden bereits erste Unterschiede zwischen den Untersuchungsgebieten ausgeleuchtet. Der Herzog von Bayern etwa, Maximilian I., weitete die Liste moralischer Gebote und Verbote immer dann aus, wenn Kriegsgefahr bestand und er eine göttliche Strafe vermeiden wollte (128), während in Polen-Litauen die Obrigkeit «das kultische und sittliche Leben der Untertanen kaum regelte», aber dennoch ein solches auf der Sakralisierung der Monarchie beruhendes Herrschaftsmodell entwickelte (insb. 135–142).

In den darauffolgenden Teilen hält sich Tricoire weiterhin an die Chronologie der Ereignisse, wobei er jeweils eine vergleichende Perspektive einnimmt: In Kapitel III werden die Unterschiede in der Bedeutung des Marienpatronats während des Dreissigjährigen Kriegs zwischen den beiden involvierten Mächten Frankreich und Bayern aufgearbeitet; Kapitel IV untersucht die Entwicklungen in Polen-Litauen im selben Zeitraum, wobei mitunter die aus polnischer Sicht vorübergehend erfolgreichen militärischen Auseinandersetzungen mit der Hohen Pforte die Legitimierung der Monarchie als von Gott erwählt unterstrichen. Auf überzeugende Art hebt Tricoire hervor, dass entgegen bisheriger Annahmen, die beim polnisch-litauischen Staatsverband von einer (entsakralisierten) Adelsrepublik ausgingen, auch hier eine «universalistische politische Kultur zu erkennen» ist, die der Monarchie insbesondere in der politisch durchaus relevanten Vermittlung zwischen Himmel und Erde «eine herausragende Rolle zuschrieb » (284). Im fünften und letzten Kapitel vergleicht Tricoire die Fronde mit den zeitgleichen Entwicklungen in Polen-Litauen; unterschiedlicher hätten sie nicht verlaufen können: Während in Frankreich das Marienpatronat auch über die Krise hinaus seinen staatlich-monarchischen Charakter behielt, auf Ludwig XIV. übertragen wurde und damit eine stabilisierende Wirkung hatte, konnte Johann II. Kasimir (1609–1672), der letzte Wasa- Herrscher, nicht an die Zeit Ladislaus IV. (1595–1648) anknüpfen. Der Anspruch auf Sakralität des Königtums und auf einen religiös- politischen Universalismus konnte nach den politischen Wirren im Innern und nach zahlreichen militärischen Niederlagen u. a. gegen die Schweden und die Moskowiten nicht aufrechterhalten werden, im Gegenteil: Er untergrub den gesellschaftlichen Konsens. Im Gegensatz zu Frankreich wurde also die Katholische Reform in Polen-Litauen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu einem machthemmenden Faktor für das Königtum (388).

Die Arbeit von Tricoire wurde 2011 im Rahmen eines Cotutelle-Verfahrens an der Ludwig-Maximilians-Universität München und an der Université Paris IV-Sorbonne als Dissertation angenommen. Der Autor beeindruckt mit einem äusserst präzisen Sprachgebrauch und einer grossen Sachkenntnis. In methodischen und theoretischen Fragen scheint er sich ebenso gut auszukennen wie in den historiographischen Kontexten Frankreichs, Bayerns und Polen-Litauens. Die argumentative Stringenz seiner Thesen lassen ihn nie vom Weg abkommen, den er sich gebahnt hat. Dieser Weg ist aber enger, als es Tricoire dem Leser verkaufen will: Tricoire beteuert zwar, dass das Marienpatronat nur ein Ausdruck der Katholischen Reform und dass das religiös-politische Kalkül eine von vielen Komponenten des politischen Kalküls ist; gleichwohl vermittelt er im Verlauf der Studie den Eindruck, die grossen Wendungen der politischen Herrschaftslegitimierung in den erforschten Ländern liessen sich primär mit dem Marienpatronat und mit dessen Verlust an Bindungskraft erklären. Die Ausdifferenzierung der beiden Sphären Religion und Politik gerade auch in der Herrschaftslegitimation, die unbestrittenermassen auch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts voranschritt, wird ausgeklammert. Dem einleitend formulierten Anspruch, den Einfluss der Religion auf die Politik zu untersuchen, wird zudem einzig vor dem Hintergrund dieser Herrschaftslegitimation und der Umsetzung der Herrschaftsansprüche im kulturellen und normativen Bereich Genüge getan. Der Einfluss der Religion im konkreten, alltäglichen politischen Entscheidungsfindungsprozess etwa im Bereich der Diplomatie bleibt dabei unberücksichtigt. Die jüngsten in diese Richtung angestrengten diplomatiegeschichtlichen Forschungen aus dem englischen, holländischen und spanischen Kontext wurden von Tricoire nicht einbezogen; vermutlich aufgrund der Erscheinungsdaten der verschiedenen Publikationen (so etwa José Martínez Millán/Manuel Rivero Rodríguez/Gijs Versteegen [Hg.], La Corte en Europa: Política y Religión [Siglos XVI–XVIII, Bd. 1], Madrid 2012; David Onnekink [Hg.], War and Religion after Westphalia, 1648–1713, Farnham 2009; David Onnekink/Gijs Rommelse [Hg.], Ideology and Foreign Policy in Early Modern Europe [1650–1750], Farnham 2011).

Insgesamt ist die Studie Tricoires äusserst lesenswert. Der Blick auf die katholische Reform, auf das Zusammenspiel zwischen Politik und Religion und auf die ereignisgeschichtlichen Zusammenhänge in den drei erforschten Ländern wird geschärft. Tricoire hat das geleistet, was man sich vielleicht idealerweise von jeder Dissertation erhofft: Eine These wird formuliert, in die zu kritisierende Forschungsliteratur eingebettet und konsequent verteidigt. Damit ist sie zur Inspirationsquelle für die künftige Forschung geworden.

Zitierweise:
Andreas Behr: Rezension zu: Damien Tricoire, Mit Gott rechnen. Katholische Reform und politisches Kalkül in Frankreich, Bayern und Polen-Litauen Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 107, 2013, S. 429-432.

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